Überblick
Die Türkei ist ein besonderes Kandidatenland; sie hat die längste Antragsphase und bereits einzigartig enge Marktbindungen an die EU. Ihre politische Geschichte birgt einerseits großes Konfliktpotenzial und andererseits kann sie gerade für die EU eine fruchtbare Brückenfunktion übernehmen. Im Beitrittsprozess ist sie zwar vorangekommen, aber noch weit von der Beitrittsreife entfernt. Die wirtschaftlichen Effekte eines Beitritts hängen daher von der künftigen Entwicklung der Türkei und der EU ab. Wie sich der Handel und die Direktinvestitionen entwickeln könnten, ist nicht so umstritten, wie die Frage der Freizügigkeit, die in der EU eher emotional als analysierend betrachtet wird. Der Ausgang eines erfolgreichen Bewerbungsverfahrens ist offen, da der Widerstand in Teilen der EU hoch ist. Außerdem entwickelt sich die Türkei seit einigen Jahren – verstärkt nach dem gescheiterten Militärputsch – immer mehr zu einem autokratischen Staat, der die Mindestanforderungen der EU nach den „Kopenhagen-Kriterien“ nicht mehr ausreichend erfüllt.
… kurz zusammengefasst ∑
Die Türkei hat eine lange Geschichte der Annäherung an die EU hinter sich, in der immer wieder politische und wirtschaftliche Zusammenbrüche (Militärdiktatur, Finanzkrisen) den Prozess stocken ließen.
Im Jahr 1995 sind EU und Türkei eine Zollunion eingegangen: Ein einmaliger Schritt mit einem Kandidatenland. Handel und Direktinvestitionen haben sich seitdem stark entwickelt, wobei die Türkei sich als Produktionsbasis auch für anspruchsvollere Fertigungen entwickelte. Die EU ist der bedeutendste Absatzmarkt für die Türkei.
Alte und neue politische Konflikte zwischen der Türkei und ihren Nachbarn – auch in der EU (Zypern, Griechenland) – spitzen sich immer wieder zu. Gleichzeitig könnte die Türkei außenpolitisch an den „brisanten“ Grenzen der EU (Naher Osten) eine positive Rolle spielen. Auch als Transitland für Öl und Gas ist die Türkei für die EU wichtig.
Die Flüchtlingskrise ebenso wie die militärische Situation an der türkisch-irakisch-syrischen Grenze spitzen sich zu und geben der Türkei jenseits aller Regeln und Anforderungen des EU-Beitrittsprozesses eine wichtige Rolle.
Weiteres Material
- Nach dem Referendum für ein autokratisches Präsidialsystem (April 2017) driftet die Türkei immer weiter weg von Europa und der EU-Mitgliedschaft. Dazu kurze Analysen des SWP-Türkei-Experten G. Seufert: (Auf den Sieg Erdoğans dürfte der Kater folgen) (Noch mehr Distanz zum Westen)
- Im April 2017 hat der Europarat, die Vereinigung zur Überwachung von Menschenrechten und Demokratie, sein Mitglied Türkei unter Beobachtung gestellt, da die Normen des Europarat nicht mehr zweifelsfrei erfüllt seien. (Tagesschau)
- Fortschritt im Beitrittsprozess auch im Jahr 2013 sehr gering
- Türkei entwickelt sich, aber …
- Erfüllung der Beitrittsanforderungen: Fortschritt auch 2015 sehr gering – eher Rückschritte zu verzeichnen (20151110_report_turkey)
- Zypern – ein neuer Hoffnungsschimmer (Nov 2015)
- Zu den Effekten der Zollunion, die seit 1995 zwischen der EU und der Türkei eingerichtet wurde, hat die Weltbank im Jahr 2014 eine Evaluation vorgelegt (Gillson, I., F. Rowe, et al. , 2014. Evaluation of the EU-TURKEY Customs Union. Washington D.C., World Bank) (Evaluation Zollunion Türkei 2014)