3. EURO

Hohe Erwartungen – starke Bedenken

Mehr als jedes andere europäische Projekt war die Einführung des Euro mit hohen positiven und negativen Erwartungen besetzt. Nach seiner scheinbar reibungslosen Einführung wird seit dem Ausbruch der Krise nicht nur ein Scheitern des Euro für möglich gehalten, sondern es wird dem Euro sogar das Potenzial zugeschrieben, das Ende der Europäischen Union herbeizuführen.

Der Diskurs über den Euro unter Fachleuten und in der Öffentlichkeit war und bleibt kontrovers. Die Sichten wechseln je nach theoretischer Basis und aktuellen Ereignissen. Die laufenden Entwicklungen an den Kapitalmärkten und in der Politik verändern die Lage bzw. reagieren auf Veränderungen.

Das Kapitels gibt Orientierung in dem komplexen Feld. Es zeichnet die Entwicklung des Euro nach, die von der konzeptionellen Diskussion über seine Einführung bis zum Auftreten von Ungleichgewichten und der Krise reicht. Der Blick auf den andauernden Prozess wird hier einer Augenblicksaufnahme vorgezogen, da es eine einzige gültige und endgültige Sicht nicht gibt: Der Versuch, die Geschehnisse um den Euro zu verstehen, ist nicht abgeschlossen.

Die Grundlagen

Zu Beginn des Kapitels werden einige unverzichtbare Grundlagen der Volkswirtschaftslehre dargestellt: Dies sind erstens monetäre Aspekte wie Inflation, Wechselkurs, Zins und Geldpolitik und ihre Wechselwirkung und zweitens die Frage der Verschuldung privater und öffentlicher Haushalte und deren Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Lage. Dabei werden über das herkömmliche Lehrbuchwissen hinaus auch andere Sichten auf die Kreditschöpfung und die Rolle der Zentralbank sowie die gesamtwirtschaftliche Wirkung von Schulden einbezogen.

Die Wirtschafts- und Währungsunion

Im nächsten Schritt werden das Grundkonzept der Wirtschafts- und Währungsunion und seine Entstehung dargestellt. Dazu gehören der wissenschaftliche Diskurs über die optimale Konstruktion ebenso wie das letztlich politisch gewählte Konzept der Konvergenz (Kapitel und ). Das Ergebnis dieses historisch einmaligen politischen Prozesses ist ein Konstrukt mit Stärken und Schwächen: Die Wirtschafts- und Währungsunion als Rahmen für Fiskal- und Geldpolitik.

Nach gutem Start in die Krise

Die verbleibenden Abschnitte folgen dem zeitlichen Verlauf bis hin zur Krise. Die Einführung des Euro nach dem Konzept der Konvergenz schien in den ersten Jahren im Großen und Ganzen erfolgreich zu verlaufen, wenn auch einige Warnsignale wie das Scheitern des Stabilitätspaktes nicht ernst genommen wurden. Nicht beachtet wurden auch die sich aufbauenden gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsstaaten. Zu den Themen Wettbewerbsfähigkeit und Realzinsen werden einige Grundlagen dargestellt, da diese nicht zu den üblicherweise vermittelten volkswirtschaftlichen Themen gehören. Der von den meisten nicht erwartete Ausbruch der Krise erzwang einen erneuten Blick auf das gesamte Konstrukt der Wirtschafts- und Währungsunion. Nach Begründungen für immer wiederkehrende Krisen werden einige der häufig diskutierten Ursachen für die derzeitige Krise erörtert und durch einen Ablauf der Ereignisse in eine „Erzählung“ über die Krise gebracht.

Aus der Vielzahl von Ursachen folgt auch ein breites Spektrum von Rettungsvorschlägen. Diejenigen, die aus derzeitiger Sicht die größte politische Realisierungschance haben, werden auf ihre Erfolgsaussichten und Nebenwirkungen hin untersucht.

… kurz zusammengefasst ∑

Der Euro war schon lange – z.B. seit dem Werner-Plan 1970 – im Gespräch. Seine Einführung wurde von den Wirtschaftswissenschaften sehr kontrovers diskutiert, zumal das Konzept einer Währungsunion ohne fiskalische oder politische Union einmalig war, so dass nicht auf Erfahrungen zurückgegriffen werden konnte.

Der Beschluss zum Euro und zu seinen Modalitäten fiel letztlich politisch, nicht ökonomisch. Die Bedenken wurden durch einige „Sicherheitsklauseln“ (Stabilitätspakt und unabhängige Zentralbank) sowie mit Vertrauen auf die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte gegenüber „Schulden-Sündern“ aufgegriffen.

Zuerst schien alles reibungslos zu funktionieren und der Euro war stabil. Dann jedoch führte die Kombination einiger Faktoren zum Beinahe-Zusammenbruch – der immer noch  nicht gebannt ist:

  1. Wenig wettbewerbsfähige Länder (Griechenland) nutzten den neuen Zugang zu billigen Krediten für eine konsumtive Verschuldung von Staat und Privaten – künftige Wertschöpfung, aus der die Kredite bedient werden könnten, wurde dadurch nicht eingeleitet.
  2. Der Zusammenbruch einer exzessiven Spekulation mit Immobilien führte das Finanzsystem weltweit zum Kollaps, der bisher nur durch staatliche Verschuldung und „unkonventionelle“ Geldpolitik angehalten werden konnte.

Der Euro ist nicht die Ursache für diese Probleme – aber er erweist sich als Hemmnis bei ihrer „Lösung“, da

  • Abwertungen kein (kurzfristiges) Sicherheitsventil mehr sein können
  • die Entscheidungen über Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik in den Krisen-Ländern nicht mehr beim Souverän liegen und nationale Entscheidung und EU-weite Verantwortung für Staatsfinanzen immer mehr entkoppelt werden (moral hazard).

Die politischen Spannungen in den meisten Ländern des Euro-Raums sowie die Interessen der Finanzindustrie führen zu einer überhasteten und gefährlichen Vertiefung der EU in Richtung einer Schulden-Union und der Schaffung fiskalischer Interventionsrechte für die EU-Kommission. Sowohl die Entwicklung der künftigen EU als auch die Grundlagen der Demokratie werden dadurch beschädigt.

Die unvermeidlichen Schuldenschnitte („hair cut“) werden herausgeschoben, so dass sich in einer Abwärtsspirale aus Einsparungen im Staatshaushalt (austerity), Schuldenabbau bei den Privaten (deleverage) und sinkendem Sozialprodukt immer größere Schuldenbestände aufbauen, die von der EZB, der EIB und dem „Rettungsschirm“ ESM – also letztlich von den Bürgern in den noch zahlungsfähigen Ländern – gehalten werden.

Die geplante Banken-Union verbessert zwar die künftige Stabilität des Finanzsystems, kann aber die Altschulden nicht beseitigen.

Spezielle Aspekte

Wo kommen eigentlich Geld und Kredit her?

Die Rolle der Banken beschränkt sich nicht auf das Vermitteln zwischen Sparern und Investoren – sie können selbst Kredite „aus der Luft“ schaffen. Diese Sicht eröffnet ein neues Verständnis für die Grenzen der Geldpolitik und die Entstehung von Spekulationsblasen (link)

Überschreitet die EZB ihr Mandat – darf sie Staatsanleihen kaufen (OMT)?

Mit der Finanzkrise hat die EZB ihr Instrumentarium „kreativ“ weiterentwickelt, um einen Systemzusammenbruch aufzuhalten. Hat sie damit die Grenzen zur verbotenen Staatsfinanzierung überschritten? Zu dieser kontroversen Frage sind sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof angerufen worden (link).

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