Lohn-Konkurrenz auf dem Rücken der Schwachen

Freier Wettbewerb erzeugt Lohndruck

Der Binnenmarkt stellt den ungehinderten grenzüberschreitenden Wettbewerb auch bei Dienstleistungen her. Dies soll zu einem optimalen Marktergebnis führen: Gute Qualität und große Auswahl bei geringen Preisen. Was nicht berücksichtigt wird, ist der Druck auf die (Lohn-) Kosten – und damit auf die schwachen Arbeitnehmer, die sich nicht wehren können. Auch die wenigen EU-Schutznormen bleiben wirkungslos, da sie von den Mitgliedsstaaten nicht durchgesetzt werden.

Dies soll am Beispiel der LKW-Fahrer gezeigt werden. Diese werden als sogenannte „entsandte Arbeitnehmer“ auf der Basis ihrer „armen“ Heimatländer zur Arbeit in „reichen“ EU-Ländern eingesetzt.

LKW-Fahrer aus Ost-Europa arbeiten unter erbärmlichen Bedingungen

Speditionen können aus jedem Land der EU in einem andren Mitgliedsstaat Dienste anbieten. Der Wettbewerb ist scharf und der Kostendruck entsprechend hoch. Die Personalkosten, d.h. die Kosten für die LKW-Fahrer, sind in einigen Ländern Ost-Europas deutlich niedriger als in den „reichen“ Mitgliedsstaaten: Bulgarien 16.000.-/Jahr, Belgien 56.000.-/Jahr. Außerdem sind Urlaub und Rentenleistungen sehr unterschiedlich (EUObserver).

Zu den Personalkosten zählen auch die Spesen für Übernachtung sowie Urlaubstage. In den Medien wird darüber berichtet, dass Fahrer aus Ost-Europa monatelang in ihren LKW leben und weder über sanitäre Anlagen noch über Küche oder Schlafraum verfügen. Von ihrem Lohn oder den Spesen können sie sich kein Hotel leisten (BBC: Ikea drivers living in trucks for months, BBC).

Diese Praxis verstößt zwar gegen EU-Schutzrechte für Arbeitnehmer, kann aber mangels ausreichender Überwachung nicht unterbunden werden; dies stellt einen erheblichen Kostenvorteil für Speditionen aus Ost-Europa dar, die damit Druck auf Löhne, Arbeitsbedingungen und letztlich Arbeitsplätze in den „reichen“ Ländern ausüben. Die Transportunternehmen in den „reichen“ Ländern können sich nur noch auf dem heimischen Markt behaupten, während diejenigen aus Ost-Europa mittlerweile die internationalen Transporte dominieren (EUObserver).

Sogar die Vorschrift Anwendung des Mindestlohns des Landes, in dem die Fahrer tätig sind, wird von der EU-Kommission als Behinderung des freien Wettbewerbs bezeichnet – sie geht in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, Frankreich und Österreich vor (Brüssel, 16. Juni 2016, Pressemitteilung IP-16-2101).

Dies ist ein Beispiel dafür, dass freier, grenzüberschreitender Wettbewerb im Binnenmarkt mit dem Schutzbedürfnis von Arbeitnehmern kollidieren kann. Eine Abwägung zwischen beiden Prinzipien muss gefunden werden.

Die Ost-Europäer sehen die niedrigen Löhne als ihren wichtigsten Wettbewerbsvorteil und lehnen die Angleichung der Sozialstandards als Protektionismus zugunsten der wohlhabenden Länder im Westen ab (EUObserver).

Die EU-Kommission versucht die verschiedenen Interessen in einer neuen Regulierung zu berücksichtigen (POLITICO) (EU-Kommission). Dazu hat sie im Dezember 2017 einen Vorschlag zur Flexiblisierung der Regelungen für LKW-Fahrer gemacht in dem sie sowohl die sozialen Interessen der Arbeitnehmer als auch die Interessen der Unternehmen ausgewogen berücksichtigen will (EU-Kommission will Ruhezeiten von LKW-Fahrern flexibilisieren). Es bleibt abzuwarten, ob die Vertreter der Mitgliedsstaaten im Rat dem zustimmen.

Gegen großen Widerstand der Industrie: Verbesserungen für Arbeitnehmer

Im Juli 2020 hat das Europäische Parlament den Gesetzesänderungen zugestimmt, die der Rat bereits beschlossen hatte (link) (link). Damit werden die Möglichkeiten der Spediteure, die geringen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen in den mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten für Transportleistungen in den „reicheren“ Staaten auszunutzen. Die Arbeitskräfte aus den „ärmeren“ Ländern werden dadurch zwar bessergestellt, verlieren aber möglicherweise ihren entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Die Bereitschaft, für wenig Lohn und unter schlechten Bedingungen zu arbeiten. Daher waren auch die Vertreter der „ärmeren“ Länder im Rat gegen diese Verbesserungen.

Der EuGH stopft ein weiteres Schlupfloch

Eine Umgehung des Schutzes von Arbeitnehmern iat seit Juli 2020 vom EuGH (Urteil C‑610-18) für illegal erklärt worden: Logistikunternehmen haben in EU-Ländern mit niedrigen Löhnen und geringem solzialen Schutz pro-forma LKW-Fahrer eingestellt und diese dann aber nicht im Land des Arbeitgebers beschäftigt, sondern in“reicheren“ Mitgliedsstaaten arbeiten lassen. So konnten Lohnvereinbarungen und soziale Sicherung am tatsächlichen Beschäftigungsort unterlaufen werden. Diese Praxis wurde vom EuGH nun weniger attraktiv gemacht: Er verfügte, dass das Unternehmen am tatsächlichen Arbeitsort auch der Arbeitgeber sei und dass daher auch die dortigen Normen (Löhne, Schutz) gelten müssen.